19
Mai
Lieber Freund,
diese Anrede schmerzt, aber vorerst belasse ich es dabei, wie Du das aufnimmst, bleibt Dir selbst überlassen.
Sie hat mir den Brief gezeigt. Ich bat nicht darum, ich wußte nicht einmal, daß Du ihr geschrieben hast. Ich vermute, sie hätte ihn mir nicht gezeigt, wenn anderes darin gestanden hätte. Aber sie ließ mich lesen - und sicherte sich dadurch, vorerst, ihre eigene Wortlosigkeit. Das ist nicht das, was ich mir wünsche, aber ich werde sie nicht drängen, wenn sie reden will, wird sie das irgendwann tun. Ich bin schon froh, wenn sie nicht heult. Für Kleinigkeiten dankbar sein, sogar für solche, das ist etwas, was ich in den letzten Tagen gelernt habe. Mein Freund, Deine Rücksichtnahme auf mich kommt ein wenig zu spät, findest Du nicht? Du schreibst ihr, Du wolltest das alles nicht und es täte Dir leid. Du schreibst, würdest Du mir die Frau wegnehmen, könntest Du Dir niemals wieder im Spiegel in die Augen sehen. Ich lese diese Passage immer wieder. Als Du sie zum ersten Mal ficktest, hätte ich zustimmend genickt. Dinge passieren. Scheiße passiert. Ein Glas zuviel, eine prickelnde Stimmung, die Hose wird zu eng... und wie sie ist, weiß ich. Sie kokettiert liebend gerne. Auch das wäre für mich ein böser Schlag gewesen, vermutlich hätte ich Dich auch da schon Arschloch genannt und auch ihr hätte ich fassungslos gegenüber gestanden. Aber, wie schon gesagt, Scheiße passiert. Einmal. Vielleicht auch zweimal. Nach dem ersten Mal konntest Du Dir also noch in die Augen sehen. Nach dem zweiten Mal auch. Sex mit ihr ist gut, mein Freund, ich weiß das. Vielleicht wolltest Du noch ein wenig mehr von dieser süßen Frucht naschen. Vielleicht wollte die süße Frucht Dich nicht mehr in unser, ihres und meines, Bett lassen. Da hast Du angefangen von Liebe zu sprechen, nicht wahr? Ich weiß von den Blumen, den Karten, den Telefonaten. Sogar von den SMS weiß ich, auch wenn sie irgendwann ihr Telefon ständig bei sich trug und es nur noch ausgeschaltet aus den Händen legte. Ich weiß sogar, daß Du die Bilder, die sie von der Wand nahm, aufgenommen hast, kurz nachdem Du Deinen Schwanz wieder eingepackt hast. Sie hat mir nicht viel erzählt, aber was sie erzählte, reichte aus. Inzwischen vemeidet sie tunlichst jedes Wort über Dich, aber inzwischen kann ich mir den Rest selbst ausmalen. Hättest Du sie geliebt, mein Freund, hättest Du sie nicht zurückgelassen. Hättest Du sie wirklich geliebt, hättest Du ihr das nicht angetan. Nichts davon. Du hast sie belogen und betrogen und ihr die Sterne versprochen. Du hast sie verliebt gemacht und sie in dem Glauben gelassen, Du meintest es ernst. Du hast sie benutzt, mein Freund und nun benutzt Du mich um aus dieser Sache heil rauszukommen. SIE ist dir egal. Dir geht es nur um DICH. Würdest Du sie wirklich lieben, würdest Du sie holen. Ohne Rücksicht auf mich. Uns beide, Dich und mich, mein Freund, gibt es schon lange nicht mehr, warum also jetzt plötzlich Rücksicht? Sie weint, mein Freund. Rücksicht? Du bist ein noch verlogenerer Hund, als ich dachte.
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