24
Mai
Lieber Freund,
sie ist weg. Nicht bei Dir, denn Du hast alle Brücken zu ihr abgebrochen. Warum, das weißt nur Du selbst. Wie so vieles nur Du selbst weißt.

Sie ist weg. "Mach Dir keine Sorgen." Ein Bogen Papier auf dem Küchentisch. "Mir geht es gut.", schreibt sie weiter und ich frage mich, warum sie dann gegangen ist, wenn es ihr doch gut geht.

"Gib mir Zeit.", bittet sie. Zeit? Wofür? Um um Dich, mein Freund, ungestört trauern zu können? Um um Dich mieses Arschloch zu trauern? Um sich klar darüber zu werden, was Du beschissenes Arschloch ihr bedeutest?

Es ist gut, daß ich Dich nicht mehr um die Ecke finden kann. Es ist gut, daß Du in die Stadt zurückgekehrt bist, in der Du hättest bleiben sollen. Gut für Dich.

Sie ist weg. Einfach weg und ich weiß nicht, was ich machen soll.

Danke, mein Freund, danke für alles!

 
 
19
Mai
Lieber Freund,
diese Anrede schmerzt, aber vorerst belasse ich es dabei, wie Du das aufnimmst, bleibt Dir selbst überlassen.

Sie hat mir den Brief gezeigt. Ich bat nicht darum, ich wußte nicht einmal, daß Du ihr geschrieben hast. Ich vermute, sie hätte ihn mir nicht gezeigt, wenn anderes darin gestanden hätte. Aber sie ließ mich lesen - und sicherte sich dadurch, vorerst, ihre eigene Wortlosigkeit. Das ist nicht das, was ich mir wünsche, aber ich werde sie nicht drängen, wenn sie reden will, wird sie das irgendwann tun. Ich bin schon froh, wenn sie nicht heult. Für Kleinigkeiten dankbar sein, sogar für solche, das ist etwas, was ich in den letzten Tagen gelernt habe.

Mein Freund, Deine Rücksichtnahme auf mich kommt ein wenig zu spät, findest Du nicht? Du schreibst ihr, Du wolltest das alles nicht und es täte Dir leid. Du schreibst, würdest Du mir die Frau wegnehmen, könntest Du Dir niemals wieder im Spiegel in die Augen sehen. Ich lese diese Passage immer wieder. Als Du sie zum ersten Mal ficktest, hätte ich zustimmend genickt. Dinge passieren. Scheiße passiert. Ein Glas zuviel, eine prickelnde Stimmung, die Hose wird zu eng... und wie sie ist, weiß ich. Sie kokettiert liebend gerne. Auch das wäre für mich ein böser Schlag gewesen, vermutlich hätte ich Dich auch da schon Arschloch genannt und auch ihr hätte ich fassungslos gegenüber gestanden. Aber, wie schon gesagt, Scheiße passiert. Einmal. Vielleicht auch zweimal.

Nach dem ersten Mal konntest Du Dir also noch in die Augen sehen. Nach dem zweiten Mal auch. Sex mit ihr ist gut, mein Freund, ich weiß das. Vielleicht wolltest Du noch ein wenig mehr von dieser süßen Frucht naschen. Vielleicht wollte die süße Frucht Dich nicht mehr in unser, ihres und meines, Bett lassen. Da hast Du angefangen von Liebe zu sprechen, nicht wahr? Ich weiß von den Blumen, den Karten, den Telefonaten. Sogar von den SMS weiß ich, auch wenn sie irgendwann ihr Telefon ständig bei sich trug und es nur noch ausgeschaltet aus den Händen legte. Ich weiß sogar, daß Du die Bilder, die sie von der Wand nahm, aufgenommen hast, kurz nachdem Du Deinen Schwanz wieder eingepackt hast. Sie hat mir nicht viel erzählt, aber was sie erzählte, reichte aus. Inzwischen vemeidet sie tunlichst jedes Wort über Dich, aber inzwischen kann ich mir den Rest selbst ausmalen.

Hättest Du sie geliebt, mein Freund, hättest Du sie nicht zurückgelassen. Hättest Du sie wirklich geliebt, hättest Du ihr das nicht angetan. Nichts davon.

Du hast sie belogen und betrogen und ihr die Sterne versprochen. Du hast sie verliebt gemacht und sie in dem Glauben gelassen, Du meintest es ernst. Du hast sie benutzt, mein Freund und nun benutzt Du mich um aus dieser Sache heil rauszukommen. SIE ist dir egal. Dir geht es nur um DICH. Würdest Du sie wirklich lieben, würdest Du sie holen. Ohne Rücksicht auf mich. Uns beide, Dich und mich, mein Freund, gibt es schon lange nicht mehr, warum also jetzt plötzlich Rücksicht?

Sie weint, mein Freund. Rücksicht? Du bist ein noch verlogenerer Hund, als ich dachte.

 
 
18
Mai
Lieber Freund,
bitte verzeih mir, wenn ich in Zukunft auf diese freundliche Anrede verzichte. Du bist kein lieber Freund, Du bist das größte Arschloch, das mir jemals untergekommen ist. Das beschissenste größte sonnenbeschienene Arschloch, das die Welt jemals gesehen hat.

Du beschissenes Arschloch. Du Drecksau. Du verlogener dreckiger Hund. Du ARSCHLOCH!

Arschlochgruß,

D.

 
 
Lieber Freund,
seit Du die Heimreise angetreten hast, hat sich der Himmel zunehmend verdunkelt und heute regnet es, nicht heftig, aber beständig. Ein Wetter, das nicht in den Mai gehört, aber mir angemessen erscheint.

Als ich ihr heute morgen vorschlug, sich krankzumelden, lehnte sie ab. "Ich bin nicht krank.", sagte sie, verschwand im Bad und schloß sich, entgegen jeder Gewohnheit, ein. Ich wollte nicht lauschen, aber als sie nach einer halben Stunde immer noch hinter der verschloßenen Türe verschwunden war und ich vorsichtig anklopfte, hörte ich ihr Schluchzen. Sie tat das, was sie seit Tagen tut: sie weinte.

Lieber Freund, fast hätte ich sie in diesem Moment gepackt, zur Türe hinaus geschoben und in den nächsten Zug gesetzt, Dir hinterher. Fast erschien es mir als das einzig sinnvolle, sie Dir nachzuschicken. Aber würdest Du sie in Empfang nehmen? Würdest Du sie Willkommen heißen? Würdest Du Dich um sie kümmern? Wie kann ich sicher sein, nachdem Du, heimlich Hals über Kopf, ohne sie aufgebrochen bist? Ich traue Dir nicht, mein Freund, ich traue Dir nicht über den Weg. Die Wahrheit ist jedoch, daß ich mir selbst nicht traue. Der Gedanke, sie würde fahren und nicht wieder kommen, niemals wiederkommen, weil Du sie erwartet hast und sie keinen Grund mehr zum weinen hat, schmerzt zu sehr. Es ist nahezu unerträglich, sie in ihrem Kummer zu sehen, aber noch unerträglicher wäre es, sie niemals wiederzusehen.

Warum hast Du nicht zuende gebracht, was Du begonnen hast, teuerster Freund? Hattest du plötzlich Skrupel? Hast Du unverhofft Dein Gewissen entdeckt? Ist Dir eingefallen, daß sie das Mädchen einer Deiner ältesten Freunde ist und daß man alten Freunden nicht die Frau ausspannt? Oder war alles nur ein Spiel für Dich, das Dich am Ende langweilte und welches Du gar nicht gewinnen wolltest, weil es in diesem Spiel nicht um Sieg oder Niederlage geht, sondern nur darum, zu spielen?

Erinnerst Du Dich an diesen Sommer in Frankreich, als wir beide an der Atlantikküste zelteten? Erinnerst Du Dich an diese alberne Wette? Damals hast Du gewonnen. Heute gibt es keinen Sieger, nur Verlierer.

Bitterer Gruß,

D.

 
 
17
Mai
Lieber Freund,
ich hoffe, es geht Dir auch nicht besser, denn wenn das so wäre, müßte ich mich gezwungen sehen, dafür zu sorgen, daß es Dir schlecht geht.

Ich hoffe, es geht Dir ausgesprochen schlecht. Ich hoffe, Du kannst nicht schlafen, liegst wach in Deinem Bett und suchst nach ihrer Hand. Ich hoffe, daß ihr Weinen Dich wach hält. Ich hoffe, daß Du leidest. Doppelt so viel wie sie und dreimal mehr als ich. Ich hoffe, Du hast Deine eigene Hölle, und ich hoffe, es ist Deine ganz allein und niemand hält Deine Hand.

Zorniger Gruß,

D.

 
 
Lieber Freund,
ich hoffe, daß Du wohlauf bist und sich Deine Heimreise einfach, angenehm und heiter gestaltete. Ich hätte Dir gerne ein paar persönliche Worte gesagt, aber sie wußte das immer zu verhindern. Auf wen von uns beiden sie dabei Rücksicht nahm, und noch immer nimmt, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ich vermute aber, daß sie uns beide schützte und schützt, voreinander.

Teurer Freund, ich weiß nicht was geschehen ist. Sie schweigt darüber, lächelt, oftmals unter Tränen, und schüttelt auf jede meiner Fragen, so vorsichtig ich sie auch stelle, stumm den Kopf. Mir bleibt also nur zu raten, denn Dich kann ich nicht fragen und sie will mir nichts sagen.

Vielleicht interessiert es Dich, daß sie die Bilder von der Wand nahm, in einem unbeobachteten Moment. Ich schaute vorhin nach, in allen Schubladen und Kisten, in denen sie solche Dinge aufzubewahren pflegt, aber Deine Bilder waren an keinem dieser Orte und ich frage mich, was genau sie damit tat. Du weißt sicherlich, daß mir diese Bilder ein Dorn im Auge waren und eigentlich sollte ich froh sein, daß sie nun fort sind, aber hättest Du sie gesehen, die Stirn an die Fensterscheibe gelehnt, heimliche Tränen fortwischend, würdest Du verstehen, warum ich mich nicht wirklich freuen kann.

Und überhaupt hält sich meine Freude in Grenzen. Du wirst Dich sicherlich darüber wundern, werter Freund. Ich sollte froh und glücklich sein, denn ihre Entscheidung fiel zu meinen Gunsten, nicht zu Deinen. Du hast hart und lange gekämpft und hast es mir nicht leicht gemacht. Ihr schon gar nicht. Ich könnte mich also zufrieden zurücklehnen und mich über meinen Sieg freuen, aber, lieber Freund, Du hättest sie sehen sollen. Schmal und klein und mit gesenktem Kopf steht sie immer wieder am Fenster und schaut hinaus. Einfach nur so. Als würde sie etwas sehen, was niemand sonst sieht. Oder als würde sie auf etwas warten.

Ich habe also gewonnen, aber froh bin ich nicht. Wie könnte ich auch.

Stiller Gruß,

D.

 
 
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