25
Mai
Laß es, Blödmann,
laß es besser. Klar bist Du versucht, alle Freunde und Freundinnen anzurufen, bei denen sie sein könnte. Nur so, um zu wissen, wo sie ist. Um Dir eine Vorstellung machen zu können. Ja, auch um Dir sicher sein zu können, daß sie nicht doch bei IHM ist.

Du würdest sie gar nicht sprechen wollen. Würdest erklären, daß man ihr gar nicht sagen soll, daß Du auf der Suche nach ihr wie ein Bekloppter durch die Gegend telefoniert hast. Du würdest nur um ein "Ja" oder "Nein" bitten, nicht mehr. Keine weiteren Kommentare. Nichts sonst.

Laß es, Blödmann. Niemand wird gerne angelogen. Du auch nicht. Fordere es also gar nicht erst heraus. Wenn sie wollte, daß Du weißt wo sie ist, hätte sie es Dir gesagt. Oder eine SMS geschickt. Oder. Oder. Oder. Und ist es nicht egal, wo sie ist? Wäre es nicht sogar egal, wäre sie bei IHM? Sie ist nicht bei Dir. Der Rest? So gut wie egal. Also laß es.

 
 
Baby,
das letzte Mal, als ich einen Zettel auf dem Küchentisch fand, in einer leeren Wohnung, ist lange her. "Mach Dir keine Sorgen.", stand dort. Das war auch schon alles an Übereinstimmung mit den Zeilen, die ich heute in den Händen halte.

Ich packte ein paar Sachen zusammen, sagte alle Termine der restlichen Woche ab und fuhr Dir hinterher. Hoch oben im Norden fand ich Dich, Deine weinende Freundin im Arm haltend, deren kleine Tochter nach einem Fahrradunfall auf der Intensivstation lag. Ich mietete mir ein verstaubtes Zimmer, nur ich allein, denn Du bliebst bei Deiner Freundin, deren Macker sich schon vor Jahren achselzuckend verpisst hatte.

Ich weiß nicht, ob Du diese Zeit an der Nordsee genauso in Erinnerung hast wie ich, vermutlich nicht. Ich habe Dir das niemals gesagt, es erschien mir unpassend, angesichts des Kummers Deiner Freundin und der Verletzungen des kleinen Mädchens, aber ich empfand diese Tage als wunderschön.

Es war Frühling, so wie jetzt, aber das Wetter war besser. Vormittags habe ich am Strand gesessen, auf die Wellen hinausgeschaut und gegen den Wind ins Telefon gebrüllt, die wichtigsten geschäftlichen Dinge regelnd. Mittags trafen wir uns zum Essen, Du und ich. Manchmal hattest Du verweinte Augen. "Weinen steckt an.", sagtest Du. Deine Freundin weinte unentwegt. Ich weiß noch, wie unnütz ich mir vorkam, in dieser Situation und doch war ich stolz. Auf Dich, Süße. Darauf, daß Du für Deine Freundin da warst, sie zu unterstützen versuchtest. Und darauf, daß Du Dich an mich lehntest, Dir von mir Deine Tränen trocknen ließest.

"Will in Deinen Arm.", sagtest Du oft. Weißt Du eigentlich, wie sehr ich diesen Satz geliebt habe? In meinen Arm. Du in meinem Arm. Ich habe mir heimlich eingebildet, ich gäbe Dir Kraft, so viel, daß Du sie weitergeben konntest. Wir blieben uns fremd, Deine Freundin und ich. Auch das kleine Mädchen blieb mir fremd. Dir aber, Babe, Dir fühlte ich mich so sehr nahe in diesen Tage, obwohl wir nur die Mittagszeit und die Nächte miteinander hatten und Du mit Deinen Gedanken oft woanders warst.

Einmal haben wir uns in den Dünen geliebt. Es war arschkalt und dann regnete es auch noch. Ich erinnere mich, wie sehr Du gelacht hast, als wir, unsere Kleidung unter den Armen, zum Auto gerannt sind. Daran, wie Du vor Kälte gezittert hast. Und daran, wie Du "Nein" sagtest, als ich vorschlug, in die Pension zu fahren. Du wolltest, daß ich Dich im Auto ficke und die Art, wie Du das sagtest, hat mir eine Gänsehaut gemacht. Nachher war Dir nicht mehr kalt. Noch Wochen später quoll Nordseesand aus den Ritzen der Sitzpolster.

Das kleine Mädchen erholte sich gut. Ich staunte darüber, wie hübsch Deine Freundin ist, wenn sie lächelt. Ich wäre gerne noch ein paar Tage geblieben, aber es gab keinen Grund mehr. Auf der Rückfahrt bist Du vor mir hergefahren. Ich sah Deine Augen im Rückspiegel Deines Wagens. Du hast gelächelt, Baby, und manchmal hast Du mir im Spiegel direkt in meine Augen gesehen. Bildete ich mir zumindest ein. Zuhause habe ich Dich den Satz "Will in deinen Arm" nur noch wenige Male sagen hören. Ich liebte diesen Satz so sehr, Baby.

"Will in deinen Arm."

Ich liebe Dich.

D.



 
 
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