28
Mai
Baby,
gestern vormittag habe ich nachgeschaut, ob Dein Auto auf dem Parkplatz vor dem Bürohaus steht, in dem Du arbeitest. Es war da, also hast Du Dir nicht freigenommen, wie Du es geplant hattest. Mit den anderen feiern wollten wir und am nächsten Tag ausschlafen. In aller Ruhe frühstücken. Vielleicht einen Stadtbummel machen. Abends vielleicht ins Kino. Oder essen gehen. Weder Du noch ich haben frei gemacht. Diese Übereinstimmung hat mich heimlich gefreut, Baby. Eine Gemeinsamkeit, keinem von uns beiden lag an diesem freien Tag.

Es wäre so leicht gewesen, auszusteigen und hinein zu gehen. Ein blöder Vorwand wäre mir sicher eingefallen, warum ich Dich an Deinem Arbeitsplatz besuche. Ich hätte etwas fragen können, so tun können, als würde ich wichtige Papiere suchen und nicht finden. Ich habe darüber nachgedacht, habe nach einer Ausrede gesucht, aber dann hatte ich eine bessere Idee.

Ich überlegte mir, zurückzufahren und mit jemandem aus dem Büro das Auto zu tauschen. Ich überlegte mir weiter, mich auf die Lauer zu legen, mit dem Dir unbekannten Wagen, und zu warten, bis Du Feierabend machst. Mein eigenes Auto würdest Du sofort bemerken, würde ich Dir folgen. Ein fremdes Auto würde Dir vielleicht auch auffallen, aber vermutlich nicht sofort und vielleicht würdest Du nicht näher hinsehen und vielleicht, wenn ich zwei oder drei Wagen Abstand einhalte....

Mein Plan erschien mir genial. Er scheiterte daran, daß diejenigen, denen ich die Wahrheit sagen konnte, ohne mich bis auf die Knochen zu blamieren, entweder frei genommen hatten oder nicht tauschen konnten oder wollten. Für die anderen Anwesenden fiel mir keine Ausrede ein. Welche einleuchtende Erklärung gäbe es, die Wagen zu tauschen?

Ich gab den Plan auf, machte früher Feierabend und fuhr erneut an Deinem Arbeitsplatz vorbei. Du warst nicht mehr da, leer war der Parkplatz, auf dem zuvor noch dein Wagen stand. Ich habe Dich verpasst. Ich frage mich, was geschehen wäre, wärest Du noch da gewesen? Wäre ich Dir in dem Dir so vertrauten Wagen gefolgt? Hättest Du mich erkannt und mich kreuz und quer durch die Stadt irregeführt, bis uns beiden der Sprit ausgegangen wäre? Hättest Du angehalten und mich zur Rede gestellt? Was hätte ich dann getan? Ich weiß es nicht. Eines weiß ich jedoch jetzt: Du bist nicht bei IHM.

Baby, ich weiß nicht, warum Du nicht bleiben konntest. Habe ich Dich bedrängt? Ich glaube nicht. Habe ich Dir Vorwürfe gemacht? Nein, Baby, das habe ich, denke ich, nicht. Was habe ich getan, daß Du nicht bleiben konntest?

Ich vermisse Dich.

D.

 
 
25
Mai
Laß es, Blödmann,
laß es besser. Klar bist Du versucht, alle Freunde und Freundinnen anzurufen, bei denen sie sein könnte. Nur so, um zu wissen, wo sie ist. Um Dir eine Vorstellung machen zu können. Ja, auch um Dir sicher sein zu können, daß sie nicht doch bei IHM ist.

Du würdest sie gar nicht sprechen wollen. Würdest erklären, daß man ihr gar nicht sagen soll, daß Du auf der Suche nach ihr wie ein Bekloppter durch die Gegend telefoniert hast. Du würdest nur um ein "Ja" oder "Nein" bitten, nicht mehr. Keine weiteren Kommentare. Nichts sonst.

Laß es, Blödmann. Niemand wird gerne angelogen. Du auch nicht. Fordere es also gar nicht erst heraus. Wenn sie wollte, daß Du weißt wo sie ist, hätte sie es Dir gesagt. Oder eine SMS geschickt. Oder. Oder. Oder. Und ist es nicht egal, wo sie ist? Wäre es nicht sogar egal, wäre sie bei IHM? Sie ist nicht bei Dir. Der Rest? So gut wie egal. Also laß es.

 
 
Baby,
das letzte Mal, als ich einen Zettel auf dem Küchentisch fand, in einer leeren Wohnung, ist lange her. "Mach Dir keine Sorgen.", stand dort. Das war auch schon alles an Übereinstimmung mit den Zeilen, die ich heute in den Händen halte.

Ich packte ein paar Sachen zusammen, sagte alle Termine der restlichen Woche ab und fuhr Dir hinterher. Hoch oben im Norden fand ich Dich, Deine weinende Freundin im Arm haltend, deren kleine Tochter nach einem Fahrradunfall auf der Intensivstation lag. Ich mietete mir ein verstaubtes Zimmer, nur ich allein, denn Du bliebst bei Deiner Freundin, deren Macker sich schon vor Jahren achselzuckend verpisst hatte.

Ich weiß nicht, ob Du diese Zeit an der Nordsee genauso in Erinnerung hast wie ich, vermutlich nicht. Ich habe Dir das niemals gesagt, es erschien mir unpassend, angesichts des Kummers Deiner Freundin und der Verletzungen des kleinen Mädchens, aber ich empfand diese Tage als wunderschön.

Es war Frühling, so wie jetzt, aber das Wetter war besser. Vormittags habe ich am Strand gesessen, auf die Wellen hinausgeschaut und gegen den Wind ins Telefon gebrüllt, die wichtigsten geschäftlichen Dinge regelnd. Mittags trafen wir uns zum Essen, Du und ich. Manchmal hattest Du verweinte Augen. "Weinen steckt an.", sagtest Du. Deine Freundin weinte unentwegt. Ich weiß noch, wie unnütz ich mir vorkam, in dieser Situation und doch war ich stolz. Auf Dich, Süße. Darauf, daß Du für Deine Freundin da warst, sie zu unterstützen versuchtest. Und darauf, daß Du Dich an mich lehntest, Dir von mir Deine Tränen trocknen ließest.

"Will in Deinen Arm.", sagtest Du oft. Weißt Du eigentlich, wie sehr ich diesen Satz geliebt habe? In meinen Arm. Du in meinem Arm. Ich habe mir heimlich eingebildet, ich gäbe Dir Kraft, so viel, daß Du sie weitergeben konntest. Wir blieben uns fremd, Deine Freundin und ich. Auch das kleine Mädchen blieb mir fremd. Dir aber, Babe, Dir fühlte ich mich so sehr nahe in diesen Tage, obwohl wir nur die Mittagszeit und die Nächte miteinander hatten und Du mit Deinen Gedanken oft woanders warst.

Einmal haben wir uns in den Dünen geliebt. Es war arschkalt und dann regnete es auch noch. Ich erinnere mich, wie sehr Du gelacht hast, als wir, unsere Kleidung unter den Armen, zum Auto gerannt sind. Daran, wie Du vor Kälte gezittert hast. Und daran, wie Du "Nein" sagtest, als ich vorschlug, in die Pension zu fahren. Du wolltest, daß ich Dich im Auto ficke und die Art, wie Du das sagtest, hat mir eine Gänsehaut gemacht. Nachher war Dir nicht mehr kalt. Noch Wochen später quoll Nordseesand aus den Ritzen der Sitzpolster.

Das kleine Mädchen erholte sich gut. Ich staunte darüber, wie hübsch Deine Freundin ist, wenn sie lächelt. Ich wäre gerne noch ein paar Tage geblieben, aber es gab keinen Grund mehr. Auf der Rückfahrt bist Du vor mir hergefahren. Ich sah Deine Augen im Rückspiegel Deines Wagens. Du hast gelächelt, Baby, und manchmal hast Du mir im Spiegel direkt in meine Augen gesehen. Bildete ich mir zumindest ein. Zuhause habe ich Dich den Satz "Will in deinen Arm" nur noch wenige Male sagen hören. Ich liebte diesen Satz so sehr, Baby.

"Will in deinen Arm."

Ich liebe Dich.

D.



 
 
25
Mai
Bedenken,
die mir zu bedenken geben und wo Bedenken zu bedenken sind, sollte man erst einmal bedenken.

Ich denke, daß die Bedenken berechtigt sind.

 
 
Lieber Freund,
sie ist weg. Nicht bei Dir, denn Du hast alle Brücken zu ihr abgebrochen. Warum, das weißt nur Du selbst. Wie so vieles nur Du selbst weißt.

Sie ist weg. "Mach Dir keine Sorgen." Ein Bogen Papier auf dem Küchentisch. "Mir geht es gut.", schreibt sie weiter und ich frage mich, warum sie dann gegangen ist, wenn es ihr doch gut geht.

"Gib mir Zeit.", bittet sie. Zeit? Wofür? Um um Dich, mein Freund, ungestört trauern zu können? Um um Dich mieses Arschloch zu trauern? Um sich klar darüber zu werden, was Du beschissenes Arschloch ihr bedeutest?

Es ist gut, daß ich Dich nicht mehr um die Ecke finden kann. Es ist gut, daß Du in die Stadt zurückgekehrt bist, in der Du hättest bleiben sollen. Gut für Dich.

Sie ist weg. Einfach weg und ich weiß nicht, was ich machen soll.

Danke, mein Freund, danke für alles!

 
 
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